Erfahre weshalb Flexitarier die Hoffnung für Tiere sind

Geschrieben von Matthias am in Blog

Wahrscheinlich hast du folgende Aussage schon häufiger gehört und musst dich mittlerweile beherrschen nicht Amok zu laufen, wenn du sie hörst.

„Ich esse auch nur ganz wenig Fleisch. Und dann auch nur aus Biohaltung.“

Der Grund, weshalb eine solche Aussage eine solche Reaktion bei dir verursacht ist zum Einen, dass du deren Wahrheitsgehalt stark anzweifelst. Und damit hast du in den allermeisten Fällen auch recht. Denn der Anteil des in Deutschland verkauften Fleisches stammt zu 99% aus Massentierhaltung.

Insofern ist es mathematisch unmöglich, dass gefühlt 80% der omnivor lebenden Menschen größtenteils Biofleisch konsumieren. Zudem bedeutet es auch nicht zwangsläufig, dass Bio weniger Tierleid verursacht, wie Recherchen herausgefunden haben.

Jedoch geht es mir um einen anderen Aspekt. Es ist nämlich so, dass der Fleischkonsum in den entwickelten Industriestaaten tatsächlich rückläufig ist. In Deutschland ist der Fleischkonsum deutlich rückläufig, während die Schlachtzahlen durch die Exportfixiertheit der Tierindustrie unregelmäßig mal höher, mal niedriger ausfallen.

Im Jahr 2015 wurden wieder weniger Tiere als in 2014 geschlachtet. In den USA sind in den letzten Jahren sowohl die Fleischkonsum- als auch die Anzahl der geschlachteten Tiere deutlich rückläufig.

Im Gegenzug stieg der Anteil von vegan oder vegetarisch lebenden Menschen nicht im gleichen Maße, weswegen Fleischreduzierer, welche hierzulande Flexitarier (eng. Reducetarians) genannt werden, die treibende Kraft hinter dieser Entwicklung sind.

Diese Entwicklung wird aber nicht nur positiv gesehen. Vielleicht gehörst du zu den Kritikern dieser Entwicklung. Der Grund hierfür ist der, dass Fleischreduktion Tierleid nicht verbannt, sondern nur mindert. An ethischen Werten wird jedoch (zu Recht!) der Anspruch erhoben absolut zu gelten.

Eine Fleischreduktion ist nicht konsequent, da hier nicht Leid und Qual an sich verhindert, sondern nur weniger gequält und gelitten wird. Deswegen sehen manche die Entwicklung negativ. Lobenswert wäre einzig die Fleischreduktion auf 0 bzw. eine vegane Lebensweise.

Diese Sichtweise ist logisch und verständlich, aber inkompatibel mit der menschlichen Psyche. Fakt ist, dass durch unzählige Studien zur Verhaltensforschung bestätigt wurde, dass weitreichendere Verhaltensänderungen beim Menschen nur sehr schwierig durchzuführen sind und dann auch nur sehr langsam ablaufen.

Viel besser wirkt die Strategie der kleinen Schritte. Diese wird auch Fuß-in-der-Tür-Technik (eng. Foot-in-the-door-technique) genannt.

Exkurs: Fuß-in-der-Tür-Technik
Die Fuß-in-der-Tür-Technik, auch bekannt als Schritt-für-Schritt-Technik, beschreibt eine Überzeugungstechnik, deren Kernelement in der sukzessiven Steigerung von einzelnen Bitten besteht. Es wird mit einer relativ kleinen Bitte angefangen, die fast jeder bejaht.
Wenn diese Bitte erst bejaht und vollzogen wurde, werden die darauffolgenden Bitten sukzessive gesteigert.
Diese werden nun auch bejaht, was nicht der Fall gewesen wäre, wenn die gesteigerten Bitten direkt zu Beginn gestellt worden wären. Erklärt wird sich dieser Effekt dadurch, dass der- oder diejenige, welche(r) eine Bitte erfüllt hatte, mit seiner vorher geäußerten Einstellung im Einklang bleiben möchte.
Wer beispielsweise der Bitte nachkommt 1x die Woche für die Tiere auf Fleisch zu verzichten, der wird die weitere Bitte 2x die Woche auf Fleisch zu verzichten schon deswegen erfüllen wollen, um sich weiterhin als tierliebenden Menschen anzusehen.

Hier ändert der Mensch schrittweise sein Verhalten, bis er beim gewünschten Idealverhalten angelangt ist. Zuerst wird das Fleisch reduziert, dann Eier, Milch, Käse, Joghurt, etc.. und irgendwann werden nur noch pflanzliche Lebensmittel und anderweitige Güter konsumiert.

Wäre alles auf einmal gefordert worden, hätte die Person in den allermeisten Fällen direkt abgeblockt und sein Verhalten gar nicht geändert.

In der veganen Bewegung wird jedoch häufig viel zu sehr der Fokus der Kritik auf diejenigen gerichtet, die ihren Konsum tierischer Lebensmittel reduziert haben, beispielsweise Vegetarier. Obwohl Vegetarier ca. 90% des Tierleids gegenüber omnivor lebenden Menschen verhindern (Nick Cooney Veganomics, Kapitel I „The Ideal Message“), werden sie von Veganern viel stärker kritisiert.

Der Grund dafür liegt darin, dass Vegetarier in einem weit höherem Maße eine Inkonsequenz verkörpern, als es bei omnivor lebenden Menschen der Fall ist. Denn während omnivor lebende Menschen aus der Sicht eines Veganers eben „konsequent“ tierfeindlich handeln, so handeln Vegetarier zwar weniger tierfeindlich, aber dennoch tierfeindlich und sehen sich selber aber als tierfreundlich an.

Diese Inkonsequenz wird häufig als Heuchelei gebrandmarkt und schlimmer angesehen als die konsequente Ignoranz der ungehemmten omnivoren Ernährungsweise.

Die Ermunterung zur SCHRITTWEISEN REDUKTION tierischer Produkte führt bei der Mehrheit zum ERFOLG!

Es wird der Anspruch erhoben die ethisch-rationale Argumentation auf die reale Handlungsweise des Menschen überzustülpen und das geht schief. Der Mensch handelt in einem größeren Maße emotional anstatt rational.

Daher reicht es für dich nicht aus einfach nur in der Theorie logisch herleiten und argumentieren zu können, weswegen eine bestimmte Verhaltensänderung durchgeführt werden sollte.

Für dich ist es wichtig auch darauf achten, dass deine theoretische Herleitung praxisgerecht umgesetzt werden kann. Denn nur dann verinnerlichen die Menschen die Verhaltensänderung und Rückschläge werden unwahrscheinlicher.

Ich habe es für dich skizziert.

Szenario 1

Strichmännchen Omnivore Veganer

In diesem Szenario siehst du viele Männchen. Die roten Männchen repräsentieren die omnivor und die grünen die vegan lebenden Menschen. Wie du siehst sind nur zwei der Männchen grün und das ist sogar noch hoch gegriffen. Der Anteil vegan lebender Menschen in der Gesellschaft beträgt ca. 2%. Dies wäre sogar gar kein grünes Männchen, wenn ich einen realistischen Maßstab hätte ansetzen wollen.

Letztendlich ist es in diesem Szenario so, dass immer nur eine Minderheit in der Gesellschaft eine schnelle konsequente Transformation durchmacht, so dass die Mehrheit der Menschen schwierig erreicht werden kann. 

Wenn man hier mathematisch den Konsum tierischer Produkte berechnen wollte, dann hilft folgende Rechnung. Alle acht roten omnivor lebenden Männchen werden mit einer 1 gewertet und die beiden vegan lebenden Männchen mit einer 0.

Somit beträgt der Konsumfaktor 8 x 1 + 2 x 0 = 8.

Nun zur zweiten Skizze.

Szenario 2

Strichmännchen Flexitarier

In diesem Szenario siehst du kein 100%ig grünes Männchen, dafür sind aber fast alle Männchen zumindest halb grün. Ein paar Männchen sind sogar überwiegend grün. Hier existiert zwar kein konsequent vegan lebendes Männchen, dafür sind aber alle Männchen auf dem Weg dorthin, in dem sie den Anteil tierischer Lebensmittel und anderweitiger Produkte reduziert haben.

Die Gesamtreduktionsmenge an tierischen Produkten ist hier wesentlich größer als in Szenario 1. In Szenario 2 ist zwar niemand konsequent vegan, dafür aber auch keiner konsequent omnivor. 

Berechnen wir auch hier wieder den Konsum tierischer Produkte wie in Szenario 1. Angenommen die halbgrünen (Flexitarier) und sogar die noch grüneren Männchen (Vegetarier) würden mit dem Faktor 0,5 berechnet werden.

Dann beträgt der Konsumfaktor 10 x 0,5 = 5.

Es werden demnach in Szenario 2 mit dem Konsumfaktor 5 deutlich weniger tierische Produkte konsumiert als in Szenario 1 mit dem Konsumfaktor 8, obwohl hier keiner im Gegensatz zu Szenario 1 konsequent handelt. Die vielen inkonsequent handelnden Männchen in Szenario 2, sprich die Fleischreduzierer, überkompensieren diesen Effekt jedoch.

Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass sich zukünftig der Wert noch verbessern dürfte, da nach dem ersten Schritt auch oftmals der zweite, dritte, etc.. folgt und somit der Konsumfaktor immer weiter sinkt.

Ein geringerer Fleischkonsum oder generell tierischer Produkte bringt den Tieren sehr viel. Zum Einen, weil damit eine Veränderung angestoßen wird, von der unzählige Tiere in der Zukunft profitieren werden, wenn immer weniger tierische Produkte konsumiert werden.

Zum Anderen profitieren Tiere auch schon heute, da ohne diese Entwicklung noch mehr Tiere leiden und sterben müssten, um die Nachfrage der nicht fleischreduzierenden Menschen zu befriedigen.

Fazit

Die Strategie der Verhaltensänderung in kleinen Schritten ist verhaltenspsychologisch die erfolgversprechendere gegenüber der Alles oder Nichts Forderung, auch wenn diese die ethisch konsequentere ist. Die theoretisch-ethische Herleitung ist jedoch von großer Bedeutung für die Bestimmung des Ziels, welches erreicht werden soll, also das Warum.

Denn ohne die ethisch-theoretische Herleitung könnte nicht begründet werden, weswegen Menschen überhaupt den Konsum tierischer Produkte einstellen bzw. reduzieren sollen. Für den Weg dahin, also das Wie, ist jedoch das Festhalten an ethisch-theoretischen Forderungen in ihrer Absolutheit schädlich.

Daher ist die Multi-Channel-Strategie  eine gute Methode, wie Menschen überzeugt werden können. Indem sowohl die ethisch-theoretische Herleitung aufgezeigt als auch gleichzeitig dazu ermuntert wird real kleine Schritte zu vollziehen, um sich immer näher der ethisch-theoretischen Herleitung anzunähern, ist in der Praxis die größte Wirkung zu erwarten.

Es kann sein, dass du jetzt ein wenig irritiert bist. Es fühlt sich für dich irgendwie nicht richtig an zwar letztlich eine ethische Konsequenz herbeiführen zu wollen, aber gleichzeitig Inkonsequenz als etwas Positives anzusehen. Gerade im Hinblick auf den Fakt, dass unter der Inkonsequenz so viele Tiere leiden und sterben müssen.

Es propagiert ja auch keiner bessere Sklavenbedingungen und sieht es als einen positiven Zwischenschritt, wenn Menschen den Erwerb ihrer Sklaven reduzieren würden.

Der Unterschied besteht darin, dass Sklavenhaltung heute! geächtet ist und somit auch keine Zwischenschritte zur Verhaltensänderung zum Positiven notwendig sind. In damaligen Zeiten gab es jedoch genau dieselben Streitigkeiten zwischen Abolitionisten und Reformern und tatsächlich haben Reformer bessere Bedingungen für Sklaven und eine Reduzierung von Sklaven gefordert.

Wie die Geschichte zeigt, ist heute die Sicht der Abolitionisten die vorherrschende. Für die Entwicklung zur heutigen vorherrschenden abolitionistischen Sicht haben Reformer aber eine wichtige Rolle gespielt. So wird es bei Tierrechten auch sein, da bin ich mir sicher.

Nur bis es so weit ist, ist es wichtig die Strategie anzuwenden, welche für den jeweiligen Zeitpunkt die Richtige ist. Es ist eben ein Unterschied, ob 1%, 5%, 10% 50%, 70% oder 99% der Gesellschaft einer Ansicht folgen, auch wenn es für manche Tierrechtler keine Rolle spielen soll.

Je mehr einer Ansicht folgen, umso konsequentere Forderungen sind durchsetzbar. Wir sind momentan noch in der 1-5% Stufe und hier sind Forderungen, welche eine vollkommene Konsequenz voraussetzen, nicht erfolgsversprechend, um eine Mehrheit der Gesellschaft zu erreichen.

Dies kann jedoch anders aussehen, wenn beispielsweise zumindest 10-20% der Gesellschaft schon erreicht worden wären. Und die 10-20% schaffen wir schneller und einfacher, indem Fleischreduktion gefördert und positiv gesehen wird.

Denke daran, dass nur omnivor lebende Menschen Tieren helfen können, indem sie ihr Konsumverhalten ändern. Wenn du schon vegan oder zumindest vegetarisch lebst, hast du relativ wenige Möglichkeiten noch mehr für Tiere zu erreichen. Und diese Möglichkeiten sind mit einem immer höheren Aufwand verbunden.

Omnivor lebende Menschen können jedoch mit recht einfachen Mitteln, indem sie beispielsweise ihren Konsum tierischer Produkte (gerade bei Hühner- und Fischprodukten) reduzieren, viel Tierleid vermeiden.

Sehe daher Flexitarier und Vegetarier als deine Verbündeten und nicht als deine Feinde an, die noch bekehrt werden müssen. Diese Menschen sind auf dem auf richtigen Weg. Sie sind mehr auf deiner Seite und gehen auf dich zu. Wenn du ihrer Fleischreduktion positiv gegenüberstehst, ist die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass sie immer weiter den Konsum tierischer Produkte reduzieren werden.

Beispiel:

Wenn du auf einer Party einen Gast triffst, welcher darauf achtet nur die Hälfte des Fleisches auf den Teller zu legen als gewöhnlich und dafür mehr vom Veggiesteak oder vom gegrillten Gemüse auf dem Teller legt, dann ist es positiv. Zeige es dem Gast, dass du seine Verhaltensänderung gut findest. 

Bis dann :-)
Dein Matthias

Zusammenfassung

Flexitarier, welche ihren Konsum tierischer Produkte schrittweise reduzieren, sind ein Gewinn für Tiere.
Sehe Flexitarier nicht als deine Kontrahenten, welche noch überzeugt werden müssen, sondern vielmehr als deine Verbündeten an, welche auf dem richtigen Weg sind.
Bestätige sie positiv in ihrem Verhalten, so dass der Flexitarier ermutigt wird seinen Weg hin zu einer immer tierfreundlicheren Lebensweise weiter zu gehen.

Und hier das Video zum Artikel

Matthias
Ich heiße Matthias und blogge auf veggie.de wie du dich effektiver für Tiere einsetzen kannst. Der Leitgedanke des Effektiven Altruismus und Erkenntnisse der Forschung psychologischer Wirkmechanismen des Menschen bilden dabei das Fundament.

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Matthias

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