Du bist nicht dein Publikum

Geschrieben von Matthias am in Blog

Wahrscheinlich möchtest du deine Mitmenschen von einer tierfreundlicheren Lebensweise überzeugen. Mir geht es genauso. Gerade auf Facebook, wo eine Vielzahl von Menschen erreicht werden kann, habe ich mich in der Vergangenheit immer wieder in Diskussionen eingeklinkt.

Meine Überzeugungskraft war jedoch eher verhalten. Dies lag u.A. auch daran, dass ich eher so geschrieben habe, dass ich mich selbst und nicht andere überzeugen wollte.

Ich möchte dir skizzenhaft erläutern, was ich damit meine. Sehen wir uns Szenario 1 an.

Szenario 1

Grafik überwiegend positiv gestimmtes Publikum

In diesem Szenario sieht du einen blauen Redner vor einem weitgehend blauem Publikum, welches zufrieden wirkt. Der blaue Redner erreicht hier die Mehrheit der Publikumsgäste mit seinen Argumenten und seiner Herangehensweise. Er ist mit der Mehrheit des Publikums auf einer Wellenlänge.

Nur die Minderheit der roten Männchen macht einen unzufriedenen Eindruck. Diese erreicht der blaue Redner nicht.

Das Szenario 1 ist immer dann gegeben, wenn du es mit Menschen zu tun hast, die dir ähnlich sind. Menschen mit ähnlichem Charakter, ähnlichen Interessen und ähnlichen Wertvorstellungen erreichst du mehrheitlich mit deiner Art und deiner Argumentation, welche du selber am überzeugendsten findest.

Sehen wir uns nun Szenario 2 an.

Szenario 2

Grafik überwiegend negativ gestimmtes Publikum

Dieses Szenario ähnelt Szenario 1. Auch hier haben wir einen Redner. Nur ist dieser diesmal rot und nicht blau. Auch haben wir hier wieder ein mehrheitlich blaues Publikum, aber im Gegensatz zu Szenario 1 machen diese hier einen unzufriedenen Eindruck. Hier erreicht der rote Redner die Mehrheit des Publikums nicht.

Nur die Minderheit, die roten Männchen, sind zufrieden. Hier ist der rote Redner nur mit der Minderheit des Publikums auf einer Wellenlänge.

Der häufigere und für Tiere auch wichtigere Fall ist Szenario 2. Gerade dann, wenn du für Tiere Verhaltensänderungen bei deinen Mitmenschen erreichen möchtest, ist es wahrscheinlicher, dass du es mit Menschen zu tun hast, die dir nicht ähnlich sind.

Denn nur Menschen, die tierische Produkte konsumieren können Tieren helfen, in dem sie es reduzieren bzw. unterlassen. Sonst ist es wahrscheinlich, dass sie ähnlich handeln würden wie du oder zumindest schon über dieses Thema nachgedacht haben.

Hier ist es nun wichtig, dass du dich empathisch in den anderen hineinversetzt und herauszufinden versuchst, was deinem Gegenüber wichtig ist, wie er denkt und seine Bedürfnisse sind.

Darauf kannst du deine Argumentation und Verhaltensweise aufbauen und wesentlich überzeugender sein, als wenn du jedem einfach nur deine Denkweise und Argumentation, welche DICH am meisten überzeugt, überstülpst.

Beispiel:

Eine zweifache berufstätige Mutter wird in den meisten Fällen völlig andere Bedürfnisse haben als ein allein lebender Student.

Während der Student insbesondere am philosophischen/intellektuellen Unterbau der Tierrechte interessiert sein kann, ist es für die zweifache berufstätige Mutter wichtiger zu erfahren, wie sie praxisnah die Nährstoff- und Vitaminversorgung ihrer Kinder sicherstellen kann.

Oder wie sie eine pflanzliche Lebensweise in ihren beruflichen Alltag integrieren kann, ohne Nachteile zu erleiden.

Oder wie sie einfach einen leckeren, veganen Schokokuchen backen kann, der ihren Kindern schmeckt.

Der Mehrheit der Menschen ist anfangs das WIE und erst später das WARUM wichtiger.

Wie eine vegane Lebensweise durchgeführt werden kann, ist für die meisten Menschen, zumindest anfangs, wesentlich bedeutsamer als die Frage warum vegan gelebt werden oder warum es Tierrechte geben sollte. Das Warum spielt meistens erst später eine immer wichtigere Rolle.

Ich selber tue mich hier immer noch schwer, da ich dazu tendiere andere Menschen mit zu vielen Informationen zu überfrachten, welche auch noch eher das Warum als das Wie betreffen. Dies sind gleich zwei Fehler, da zu viele Informationen generell eher abschreckend statt überzeugend wirken.

Beispiel Facebook Diskussion:

Um bei meinem obigen Beispiel aus Facebook zu bleiben, hier der verkürzte sinnbildliche Auszug.

Schreckliche Schlachtszene

Simone H.: „Das ist so schrecklich, aber leider ist so die Natur. Wir brauchen Fleisch.“

ich: „Warum brauchen wir Fleisch?“

Simone H.: „Um unsere Nährstoffversorgung sicherzustellen.“

ich:  „Die Nährstoffversorgung kann locker durch eine pflanzliche Ernährungsweise sichergestellt werden. Schau dir einfach mal Link1 Link2 und Link3 an (Fehler Informationsüberfrachtung, eine kurze Erklärung + max. 1 Link wäre besser gewesen). Tiere sind empfindsame Lebewesen und wollen leben und nicht leiden. Findest du nicht auch?“

Simone H.: „Mag sein und ich kann deinen ethischen Einwand nachvollziehen, aber ich halte es für sehr schwierig eine vegane Lebensweise im Alltag durchzuziehen. Ich stelle es mir wahnsinnig kompliziert vor.“

ich: „Das ist gar kein Problem. In den Supermärkten gibt es schon viele pflanzliche Ersatzprodukte und ansonsten schaust du einfach in Shop 1, Shop 2, Shop 3 und Shop 4 und schau dir noch Link 1, Link 2 und Link 3 an, hier wird erklärt, wie es geht. Bedeutender ist doch die ethische Dimension. Jeden Tag werden empfindungsfähige Lebewesen in unvorstellbarer Zahl und Brutalität getötet, da sind Sorgen um die Alltagstauglichkeit einer veganen Lebensweise wirklich sekundär.“

Im letzten Abschnitt ist zu sehen, dass ich Simone H. wieder mit zu vielen Informationen überfrachte (insgesamt 7 Links) und ihre Sorgen über die Alltagstauglichkeit nicht wirklich ernst nehme, sondern diese mit den Links und einem Halbsatz schnell aus der Welt räume, um dann wieder die für MICH wichtige ethische Komponente ins Spiel zu bringen.

Hier empathischer auf die Bedürfnisse des anderen einzugehen, fällt mir auch heute noch schwer, da ich instinktiv immer MEINE rational-ethische Denkweise darlegen und damit andere überzeugen möchte.

Im Szenario 2 sollte sich der rote Redner überlegen, weshalb er das mehrheitlich blaue Publikum nicht erreicht und versuchen herauszufinden, was die Bedürfnisse des blauen Publikums sind, um seine Argumentation und Herangehensweise danach auszurichten.

Es gibt noch eine zweite große Gefahr im Szenario 2. Nämlich die des Confirmation Bias (dt. Bestätigungsfehler).

Confirmation Bias (dt. Bestätigungsfehler)

Exkurs: Confirmation Bias (dt. Bestätigungsfehler) 
Der Confirmation Bias besagt, dass nur die Informationen wahrgenommen werden, welche dem eigenen Weltbild entsprechen und dass die Informationen nicht wahrgenommen werden, welche unserem Weltbild entgegenstehen.

Im Szenario 2 kann es passieren, dass der rote Redner gar nicht mehr wahrnimmt, dass er das mehrheitlich blaue Publikum nicht erreicht und nimmt nur noch die erreichte Minderheit der roten Männchen war.

Grafik nur noch wahrgenommene zustimmende Minderheit

Wenn es dauerhaft nicht wahrgenommen und reflektiert wird, kann es passieren, dass eine Bewegung stagniert. Es wird sich dann gewundert, weshalb es so ist, da doch immer wieder Menschen überzeugt werden können. Es wird nur nicht erkannt, dass immer nur eine Minderheit erreicht wird.

Dieses Problem hat die vegane Bewegung seit Jahrzehnten und der Confirmation Bias ist daran nicht ganz unschuldig.

Dadurch, dass mit einer rein rationalen, ethischen Argumentationsweise immer wieder neue Menschen überzeugt werden, wird übersehen, dass die Mehrheit, welche der 100% konsequenten rein ethisch-rationalen Herangehens- und Argumentionsweise nicht zugänglich ist, nicht erreicht werden kann.

Manchmal ist es sogar so, dass man es als den einzig richtigen Weg empfindet den Menschen die brutale Wahrheit „ins Gesicht zu knallen“, weil es das sein soll, was die Menschen hören „müssen“.

„Oh, wir sollen also den tiermordenden Menschen Zucker ins Gesicht streuen? Nichts da, ich werde ihnen das sagen, was sie wissen müssen, ganz gleich, wie schwer es für ihre Ohren auch zu ertragen sein mag.“

Eine solche Vorgehensweise zementiert den 1-2% Minderheitenstatus, da Vorwürfe kontraproduktiv wirken und die Menschen nicht dort abholen, wo sie stehen. Mehrheiten sind für Tiere aber die einzige Hoffnung. In der Vergangenheit wurden soziale Errungenschaften zwar immer von Minderheiten angestoßen, aber diese waren nur dann erfolgreich in der Gesellschaft etabliert worden, wenn aus Minderheiten Mehrheiten wurden.

Fazit

Versuche bitte in Zukunft dich flexibler auf deine Mitmenschen einzustellen und herauszufinden, wie sie denken und was ihnen wichtig ist. Je nachdem, ob du das Gefühl hast dein Gegenüber ist eher philosophisch, ökologisch oder hedonistisch eingestellt, kannst du darauf aufbauend deine Herangehensweise und deine Argumentation ausrichten.

Einem hedonistischen Menschen, welcher an Individualität, Luxus und Abenteuer interessiert ist, wirst du besser mit Argumenten wie neuartige kulinarische Erlebnisse der veganen Küche oder individuellen Modekollektionen aus pflanzlichen Rohstoffen gewinnen können statt mit ethischen Erwägungen.

Umgekehrt ist es der Fall, wenn du es mit einem eher philosophischen und/oder eher ökologisch interessierten Menschen zu tun hast. Hier überzeugst du besser mit klarer Argumentation im größeren Kontext (Ressourcenschonung, Entwicklung der Freiheits- und Individualrechte, etc..).

Mit einer solch flexiblen Herangehensweise wirst du mehr Menschen überzeugen können und das ist letztlich ein großer Gewinn für Tiere.

Wir sehen uns :-)
Dein Matthias

Zusammenfassung:

Menschen sind unterschiedlich und können daher nicht mit einer Standardargumentation überzeugt werden. Deshalb ist es wichtig die Bedürfnisse und Interessen der zu überzeugenden Person oder der Personengruppe empathisch herauszufinden und hier flexibel darauf angepasst zu argumentieren.
Die Frage wie eine vegane Lebensweise gelebt werden kann ist für den Großteil der Menschen bedeutender als die Frage warum eine vegane Lebensweise gelebt werden soll. Ebenso wichtig ist immer zu reflektieren, ob du auch die Menschen wahrnimmst, die du nicht erreichst und somit verhinderst einem Confirmation Bias zu unterliegen.

Und hier das Video zum Artikel

Matthias
Ich heiße Matthias und blogge auf veggie.de wie du dich effektiver für Tiere einsetzen kannst. Der Leitgedanke des Effektiven Altruismus und Erkenntnisse der Forschung psychologischer Wirkmechanismen des Menschen bilden dabei das Fundament.

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Matthias

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